Mein zweiter Monat

| Kanada

Hi zusammen, 

jetzt bin ich schon über 2 Monate hier und mir kommt es vor, als wäre das meine zweite Woche. Andererseits fühlt es sich aber auch an, als würde ich schon ewig in Ladysmith leben, weil der Alltag hier schon total zur Normalität geworden ist.

Insgesamt verfliegt die Zeit wirklich sehr schnell, vor allem, wenn Feiertage oder besondere Ereignisse wie Halloween sind, weil das noch einmal eine ganz neue Erfahrung für dich sein werden. Zwar wird zu dieser Zeit auch bei uns, in Deutschland, ein bisschen gefeiert, aber das könnt ihr auf keinen Fall mit dem Halloween in Kanada vergleichen. Es ist einfach nur verrückt, wie manche Leute ihre Häuser und Vorgärten dekorieren. Egal wo man entlangspaziert, überall schauen mir geschnitzte Kürbisse, aufgepustete Geister & Spinnen oder von Bäumen hängende Skelette entgegen.

Auch in der Schule blieb das Feiern natürlich nicht aus. Die gute Stimmung und der Grusel im „Haunted House“ der Schule ist das Eine, aber die Verkleidungen-einfach der Hammer. Die Schüler, die sich verkleidet haben, haben sich schon Wochen vorher alle Gedanken über ihre Kostümwahl gemacht und die Meisten von ihnen haben ihre Kostüme sogar selber gebastelt, umkreiert oder genäht. Die Ideen, die Kreativität und die Arbeit, die in diese Kostüme gesteckt worden sind habe ich wirklich nur bewundern können. Freunde von mir waren alle möglichen Film-Charaktere (Hutmacher von Alice im Wunderland oder Willy Wonka aus „Charlie und die Schokoladenfabrik“) und Mr. Monopoly, der Spielgeld verteilt hat. Unser Outdoor Education Lehrer hat ein Grinch-Kostüm getragen und auch alle anderen Lehrer haben sich Halloween zu Herzen genommen. Als wir dann auch noch in unseren Verkleidungen draußen selber Feuer machen mussten, wurde es wirklich lustig. Nur, dass mir das komischerweise überhaupt nicht mehr so seltsam vorkam, weil ich mich schon sehr an die kanadische Schule gewöhnt habe.

In der Pause gab es Pizza und auch der Kostümwettbewerb auf der Bühne war eine total neue, aufregende Erfahrung für uns. Damit noch etwas mehr Halloween-Herbst-Stimmung aufkam, bin ich dann am Halloween-Tag mit einigen Freunden zum „Corn Maze“-einem großen, sehr matschigen, Mais-Labyrinth gefahren.

Mit matschig, meine ich wirklich matschig. Gott sei Dank hat meine Gastmutter mich gewarnt und ich war halbwegs vorbereitet. Teilweise kam man gar nicht mehr von der Stelle, wenn man zu lange stehen geblieben ist. Letztendlich haben wir es aber alle zu dem Aussichtsturm, mit Kürbisdach, geschafft, wo wir dann erstmal verschnaufen konnten. Die schöne Aussicht, mit den Bergen als Kulisse im Hintergrund, konnten wir auch genießen, nachdem es wirklich nicht leicht war, es dort hin zu schaffen. Nach einem kleinen Foto-Shooting wurden wir dann von einem Farmer, im Stroh eines Anhängers, durch den Schlamm kutschiert, wo wir, nicht nur einmal, befürchten mussten, stecken zu bleiben.

Das Highlight des Tages war allerdings „TRICK or TREAT“ am Abend, als ich, erst mit meinen Freunden, dann mit meinen kleinen Gastgeschwister, zum Süßigkeiten sammeln, durch die Straßen geschlendert bin. An allen Häusern, vor denen ein geschnitzter Kürbis stand, haben wir sehr erfolgreich geklingelt. Oft blieb es nicht nur bei ein oder zwei Kürbissen, sondern die Leute saßen großen Teils an einem kleinen Lagerfeuer auf ihrem Hof/ in ihrem Garten, hatten kleine Candy-Bars kreiert oder haben die Halloween-Treats in Kostümen und mit geschminkten Gesichtern überreicht. Es hat mich wirklich sehr überrascht, wie Ernst alle diesen Abend genommen haben. Selbst die älteren Leute haben sich, trotz der vielen Kinder, Familien und Freundesgruppen, alle immer ein bisschen Zeit für uns genommen und immer einen freundlichen Kommentar im Bezug auf unsere Kostüme ausgepackt. Die Freundlichkeit der Kandier wird einer der Dinge sein, die ich am meisten vermissen werde, denn es ist wirklich schön, wie gemeinschaftlich hier alles von statten läuft. Die Menschen hier stehen alle voll und ganz füreinander ein und sind alle sehr hilfsbereit.

Was auffällig ist, ist dass sehr viele an ihrem Haus oder in ihrem Garten eine Kanada-Flagge hängen haben. Eine andere Sache, die mich überrascht, ist, dass die Bewohner Kanadas immer von Amerika sprechen, wenn es um die USA geht. Hier ist man nicht ganz so gut auf die Amerikaner (hier haben wir es wieder) zu sprechen, weil die Menschen dort wohl viel mehr an ihr eigenes Wohl denken und sich hautsächlich um ihr eigenes Leben kümmern. Das ist wirklich ein total wichtiger Punkt, wenn ihr noch nicht genau wissen solltet, ob ihr Kanada oder die USA bevorzugt. Die Freundlichkeit im neuen Umfeld tut einfach nur total gut. Nicht nur im Thema „Freundlichkeit“ ähneln sich die Kanadier, sondern oft werden auch die gleichen Leckereien an Halloween verteilt.

Ihr müsst wissen, das mit den Supermärkten und dem Einkaufen, läuft auf Vancouver Island total anders, als wir es von Deutschland gewöhnt sind. Die meisten Familien machen ihren Großeinkauf alle in den gleichen Läden, wo es dann alles in MAXI-Packs zu kaufen gibt. Die „Supermärkte“ erinnern mich immer an die Lagerhalle von IKEA, wenn ihr damit etwas anfangen könnt?! Von Kleidung, über Möbel und natürlich Lebensmittel gibt es nahezu alles. Um dort einkaufen zu dürfen, braucht man eine Mitgliedschaftskarte, aber so, wie ich das hier mitbekomme, trägt solch eine fast jeder der hier lebt, in seinem Besitz. Dementsprechend sieht man auch überall die gleichen Drink-Flaschen, Seifenspender oder Handtücher. Ich gehe davon aus, dass das einfach daran liegt, dass wir hier ja auf einer Insel leben und alles per Schiff oder Fähre geliefert werden muss. Jedenfalls sind die Kinder, vor allem meine Gastgeschwister, nicht mit leerer Beute davongekommen. Zum krönenden Abschluss konnten wir dann am Halloween-Abend noch einige Feuerwerke beobachten, die einem, trotz der frierenden Hände, Wärme durch den Köper haben fließen lassen. Falls ihr es noch nicht wusstet, hier gehen selbst die Kleinen erst los, wenn es auch wirklich dunkel wird, denn es soll ja schön gruselig sein. Es ist überraschend, wie gut die Kinder auf diesen Grusel vorbereitet sind. Mir war es teilweise ehrlich gesagt ein bisschen unheimlich, aber wer weiß, vielleicht bin ich da auch einfach zu schreckhaft.

Gott sei Dank betrifft das nur Halloween, denn ich musste eine Entscheidung treffen, die mich wieder viel Mut gekostet hat. Ich habe diesen Monat meine Gastfamilie gewechselt. Normalerweise ist das gar nicht so einfach, aber bei mir war es ein bisschen anders, da das Anliegen auch von meiner Gastmutter aus kam. Der Grund für den Wechsel war nicht, dass wir uns nicht gut verstanden haben oder weil ich total unglücklich war, sondern, weil meine Gastmutter, wegen einer Vorerkrankung, sehr vorsichtig mit Corona und der Pandemie umgehen muss. Ich hätte zwar in meiner alten Gastfamilie bleiben können, aber ich habe mich dagegen entschieden, weil so etwas einfach keine gute Voraussetzung für mein Auslandsjahr ist. Vor meinem Aufenthalt hier wäre ich wahrscheinlich in der Familie geblieben und hätte akzeptiert, dass ich mit manchen Einschränkungen rechnen muss. Aber ich habe mich gefragt, ist es wirklich in Ordnung, dass ich MEIN Auslandsjahr nicht voll und ganz nutzen kann, weil ich in einer Gastfamilie lebe, die besonders vorsichtig sein muss? Nein, auch, wenn ich Verständnis für die Situation habe. Daran merke ich, dass ich in meiner Zeit hier schon so viel dazugelernt habe. Manchmal muss man einfach ein bisschen egoistisch sein und das machen, was für einen selbst das Richtige und Beste ist. Man bekommt diese Entwicklung des Selbstbewusstseins oft gar nicht mit und merkt es erst, wenn man in eine schwierige Situation kommt. Ich bereue es jedenfalls ganz und gar nicht, mich so entschieden zu haben, im Gegenteil. Es ist okay euch dafür einzusetzen, in einer Familie zu leben, mit der ihr gut zurechtkommt und wo ihr euch wohlfühlt. Wenn du dich für so eine lange Zeit immer zurückhalten musst und nicht wirklich ausleben kannst, wer du bist, es ist nicht das, was ihr für euren Mut verdient. Natürlich solltet ihr erst einmal überlegen, ob ihr Probleme nicht durch Gespräche mit eurer Gastfamilie lösen könnt, aber ihr solltet euch nicht verstellen müssen und eure Persönlichkeit darunter leiden lassen! Ich persönlich, fühle mich in meiner neuen Gastfamilie sehr wohl und habe wirklich das Gefühl, dass ich meinen Charakter hier besser ausleben und sogar stärken kann. Ich kam mit meiner ersten Gastfamilie auch zurecht, aber manchmal passt es einfach nicht so gut zusammen, bei mir nicht aus den typischen Gründen, aber es war einfach keine gute Grundlage für mich und das ist in Ordnung. Ich hatte ein bisschen Angst, dass ich in eine Familie kommen könnte, in der es dann andere Probleme gibt oder mit der ich mich nicht verstehe, weshalb mir die Entscheidung wirklich nicht leicht viel. Aber ich habe mich getraut, was sich ausgezahlt hat, weil meine jetzige Gastfamilie auch vom Charakter her besser zu mir passt.  Lasse dich bloß nicht unter Druck setzten, damit du deine Zeit wirklich genießen kannst, denn es ist eine wirklich eine einmalige Erfahrung, aus der ihr ganz viel Positives ziehen solltet.

Egal, ob in der Schule, in eurer Gastfamilie oder mit euren anderen Ansprechpartnern, alle sind sehr hilfsbereit und versuchen einem zur Seite zu stehen. Es ist allerdings sehr wichtig, dass du dich traust deine Probleme anzusprechen. In der Schule gibt es auch eine Lehrerin, deren Aufgabe es ist, den internationalen Schülern zu helfen, wenn wir Hilfe benötigen. Es ist gut zu wissen, dass es das Angebot gibt, aber ich persönlich hatte noch nicht wirklich das Bedürfnis, weil der Unterricht hier wirklich sehr viel leichter ist. Arbeiten gibt es hier gar nicht und auch die Tests sind nicht wirklich vergleichbar mit den HÜs in Deutschland. Heute haben wir zum Beispiel einen Test über erste Hilfe geschrieben, wo wir ein paar Begriffe in einen Lückentext einsetzten mussten und einige simple Fragen beantworten mussten, die wir im Voraus schon genauso vorgegeben bekommen haben. Es wird kaum darauf geachtet, ob die Schüler sich unterhalten oder nicht und es gibt auch keine Trennwände oder ähnliches. Im Gegenteil, die Tische sind meist Gruppentische, an denen man sich gegenübersitzt. Unser Haupttest in Psychologie war so aufgebaut, dass wir uns einen Spickzettel im Umfang von einer Seite schreiben durften, die verwendet werden sollten. Die Aufgabe war in Zweier-Teams eine richtige Antwort zu finden und dann auf eine kleine Tafel zu schreiben. Für jede richtige Antwort gab es dementsprechend viele Punkte und am Ende des „Tests“ gab es dann ein Team, das gewonnen hat. Das Ganze wurde dann benotet. Dann gab es tatsächlich noch einen kleineren Teil, in dem wir selbstständig und ohne unseren Spicker sechs Fragen beantworten mussten. Die meisten Lehrer hier bewerten pro Themenblock ein kleines Quiz, das online stattfindet. Alle müssen sich bei der angegeben Website, mit einem Zugangscode, einloggen und vorne an der Tafel werden die Quizfragen groß, per Beamer, angezeigt. Auch bei dieser Variante des Notengebens ist es eine Art Wettbewerb zwischen den Schülern, wo es immer einen Gewinner gibt, was wirklich ein zusätzlicher Ansporn ist. Oft werden die ersten drei Plätze mit Süßigkeiten belohnt.

Wie ihr merkt, rede ich ganz schön viel vom Naschen. Ich kann leider nicht leugnen, dass ich hier mehr und vor allem viel ungesünder esse. Es ist so, dass es hier günstiger ist, wenn man sich ungesund ernährt, da die gesunden Lebensmittel oft sehr teuer sind. Dementsprechend wird dann eben ungesünder gegessen. Man bekommt hier ständig zu hören, wie viel viele hier schon zugenommen haben, eindeutig einer der Nachteile vom Auslandsjahr. Ich glaube, ich spreche hier nämlich nicht nur von der Gegend, in der ich es tatsächlich mitbekomme. Auffällig ist auch, dass es wirklich viel mehr Fast Food Restaurants gibt. In der Familie, in der ich jetzt lebe, essen wir zwar relativ gesund, worüber ich wirklich froh bin, aber trotzdem esse ich sehr oft ungesünder, wenn ich etwas mit Freunden unternehme. Viele meiner Freunde sind der Meinung, dass sie sich hier viel weniger Druck machen, was das Schnabulieren angeht und ich sehe das genauso. Eine andere Sache ist, dass in vielen Familien kein Wert auf das gemeinsame Essen gelegt wird und man oft für sich alleine isst. In beiden meiner Gastfamilien und auch in befreundeten Familien ist mir aufgefallen, dass es anscheinend untypisch ist, dass man aufeinander wartet, bevor man anfängt zu essen. Aber jetzt genug übers Essen geredet, das ist schließlich nicht das Wichtigste eurer Zeit im Ausland, auch, wenn ihr die Unterschiede der Essgewohnheiten schnell feststellen werden und vielleicht erst einmal ein bisschen braucht, bis ihr euch daran gewöhnt habt.

Hier ein Tipp, den ihr allerdings vorab schon brauchen könntet, mir persönlich war das überhaupt nicht so bewusst, obwohl ich es gewusst habe (einfach, weil ich es anders gewohnt war): Als ich nach einer passenden Schule für mich gesucht habe, habe ich mich total auf die Fachangebote der Schulen versteift. Die meisten Schulen hier haben viel mehr Fächer, als ihr es von Zuhause kennt. Das heißt, es reicht, wenn deine Schule ein paar wenige Fächer anbietet, die dich wirklich interessieren, du kannst nämlich ohnehin nicht alle Fächer belegen, weil pro Semester nur vier davon für dich zur Auswahl stehen. Wenn du ein ganzes Jahr bleibst, musst du dann mit Sicherheit auch noch zwei oder mehr anspruchsvollere Kurse, wie Englisch und Mathe, belegen. Da bleibt dann gar nicht mehr so viel Platz für andere Fächer. Viel könnt ihr wahrscheinlich gar nicht falsch machen, weil das Fächerangebot wirklich mega ist, egal für was ihr euch interessiert. In Drama beispielsweise haben wir momentan die Aufgabe, unseren eigenen Projekten nachzugehen. In meiner Kleingruppe drehen wir unseren eigenen Film, was total spannend ist, weil man auf so viele verschiedene Dinge achten muss. Und keine Frage, lustig ist es natürlich ohnehin. Ich habe generell das Gefühl, dass in der kanadischen Schule viel mehr auf Gruppen und Teamarbeit geachtet wird. In Psychologie arbeiten wir nämlich im Moment an sozialen Experimenten, die wir an unseren Klassenkameraden oder anderen Teilnehmern testen müssen. Ein anderes Projekt, das wir als Aufgabe haben, ist die Vorbereitung einer Unterrichtsstunde. Man lernt sehr interessante und wichtige Dinge, die wirklich relevant für die Zukunft sind.

Morgen habe ich ein Volleyballspiel und übermorgen fahren wir auf ein Turnier. Die Stimmung bei den Spielen ist so, wie du es aus den ganzen Filmen kennst. Alle fiebern mit, es ist Stimmung und es ist ziemlich laut, für mich persönlich genau das Richtige. Es ist allerdings unsere letzte Woche, in der wir Volleyball haben, da die Sportarten in Kanada hauptsächlich saisonal angeboten werden. Wir finden das alle wirklich schade, weil wir uns gerade so richtige an das Team und das Spielen an sich gewöhnt hatten. Damit unser Team uns allen in Erinnerung bleibt, haben wir einen Pullover kreiert, der bestellt wird. Wie ihr seht, ist das Gefühl des Gruppenzusammenhaltes, in den Sportteams der Highschool, eine sehr prägende Erfahrung und wirklich empfehlenswert. Also, wenn ihr die Möglichkeit an eurer Highschool haben werdet, tretet unbedingt einem Club (AG) oder Team bei, denn so macht ihr auch ganz schnell neue, einheimische Bekanntschaften.

Ich hoffe sehr, dass ich dir ein bisschen weiterhelfen konnte und dir einen kleinen Einblick in die Herbst-/Halloweenzeit und das Alltagsleben Vancouver Islands geben konnte. Es würde mich freuen, wenn du auch in dem Bezug auf einen Gastfamilienwechsel etwas mitnehmen konntest. Natürlich wäre es das Beste, wenn du mit deiner Gastfamilie von vornherein gut matchst und da überhaupt keine Tipps benötigst : )